von Marko Demantowsky
Nur 9000 Zeichen heute in der Sächsischen Zeitung (Dresden) zu einem Thema, das seine öffentliche Aufmerksamkeit wohl schon wieder verloren hat. Dabei ist es für die Bundesrepublik Deutschland von enormer Bedeutung. Und man muss Dirk Oschmann außerordentlich dankbar dafür sein, dass er die Kraft und die Courage für seinen verlagsgebundenen Wutausbruch gefunden hat. Die von ihm nach eigenen Angaben bewusst gesetzten Vereinseitigungen stören mich meistenteils nicht, so funktioniert Polemik, und der Einzelfall ist der Struktur ihr Tod. Popper zieht hier einfach nicht. Zwei Aspekte erschienen mir aber doch notwendig zu ergänzen zu sein (und es soll eben vorwiegend das sein: Ergänzung und nicht Widerspruch):
Read more: Post scriptum: Was heißt denn hier „ostdeutsch“?Erstens, auch ohne Koselleck- oder Blumenberg-Verbeugungen sollte klar sein: Begriffe und Metaphern haben ihre Schicksale. Manchmal denke ich das wie im Samsara, dem ewigen Kreislauf aller unerlösten Geister, sie tauchen in neuen Leben in immer anderer Gestalt auf, mal degradiert, mal erhoben, aber immer geladen mit dem Karma früherer Existenzen. So ist es auch mit „ostdeutsch“. Wer gegenwärtige Verwendungen verstehen will, muss frühere im Blick behalten. Ich denke nicht, dass sich dieser Aspekt mit einer Berufskrankheit von Historikern abtun lässt. Es ist Alltagserfahrung, die alltäglich leider nur selten gegenwärtig ist.
Zweitens, wenn Oschmann doch in so vielem (auch nachweisbar) recht hat, warum erntet er dann so viel Widerspruch gerade bei Jüngeren, zu deren immer kaleidoskopischer Identität auch „das Ostdeutsche“ gehört? Meine Antwort darauf lautet, dass Oschmanns Essay genau der Versuchung der Essentialisierung und paradoxer Gegenzuschreibung unterliegt, die er doch zu bekämpfen sich vorgenommen hat. Das liegt im Wesen von Polemik und ihrer rhetorischen Struktur, und ich möchte das seinem Essay nicht zum Vorwurf machen. Aber es gehört meines Erachtens doch etwas ergänzt, auch um Oschmanns Text in dieser Hinsicht zu präzisieren.
Es macht, das ist zu sagen, einen erheblichen Unterschied, vor dem Hintergrund welchen Erfahrungsraums und welchen Erwartungshorizonts (hier war sie nun doch, die Verbeugung) man Fremd- und Selbstzuschreibungen als „Ostdeutscher“ begegnet ist. Kam der Zusammenbruch des DDR-Staats am Ende einer Kindheit, und die Jugend konnte (und musste) sich neu in der Transformationsgesellschaft entfalten, galt man deshalb als sozusagen gesellschaftlich unschuldig und lebte doch von an in einer Zwischenwelt? Oder sah man das Jahr 1990 als Erwachsener, der seine sozialisatorische und mindestens erste adulte Erwachsenenreife unter den Bedingungen der SED-Diktatur und ihres eigentümlichen Staatswesens erfahren hat; galt man als ein Umzuerziehender, mithin als ein prinzipiell Belasteter? Noch anders erfuhr und erfährt man sich als „Ostdeutscher“, wenn man DDR oder gar auch schon Transformationszeiten nur aus familialer und kultureller Überlieferung kennt. Und wie ist es mit den Hunderttausenden, die in der alten Bundesrepublik aufgewachsen sind und aber seit Jahrzehnten schon in den FNL leben und arbeiten, keine Ostdeutsche, Wossis? Und wie ist es mit den ca. 4.5 Millionen, die nicht in FNLien geblieben sind, sondern aus Gründen des Lebenserwerbs oder der Neugier oder beidem „in den Westen“ gegangen sind?
Oschmann spricht für bestimmte Generationslagerungen, vielleicht auch nur für eine spezifische Generationseinheit (um Karl Mannheim zu zitieren), deren biologische Auflösung ebenso voranschreitet wie jede andere. Er verhandelt den Schmerz einer schrittweise und absehbar endgültig in den Ruhestand sich verabschiedenden, allerdings millionengroßen Erfahrungsgruppe. Der Impetus seines Textes hätte auch gut seinen Platz in einer Abrechnungsautobiographie finden können. Es handelt sich, kurzum, ich meine es so hart sagen zu müssen, um vergossene Milch.
Das ist jetzt alles abstrakter gesagt als im Feuilleton-Text, in dem ich lieber auf kleine Geschichten und auch persönliche Anekdötchen zurückgreife. Denn eine Geschichte sagt mehr als sie erzählt oder als irgendein Aufwand erklären könnte.
Hier geht es zum Zeitungstext:

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